Der Verein „Marsberger Geschichten – Schlüssel zur Vergangenheit e. V.“ hat sich auf geschichtliche Spurensuche in die Archive begeben und ist zum Silvester- sowie Neujahrstag fündig geworden.

Eine Ansichtskarte vom schneebedeckten Niedermarsberg mit dem Prägedruck: „Herzliche Neujahrsgrüße Niedermarsberg“ aus der Zeit um 1910.
Silvester wird heute ausgiebig gefeiert, nur die Wenigsten müssen arbeiten. Im 19. Jahrhundert war der Tag für die Männer alles andere als ein Feiertag, denn dann übernahmen die Frauen für kurze Zeit das Regiment: Die Männer mussten sich an diesem Tag um den Haushalt und um die Kinder kümmern, sie mussten tun, was ihnen die Frauen auftrugen. Besser hatten es die Junggesellen: Um 1890 gab es den Brauch, dass sich die Junggesellen zu einer „Kommission“ zusammenfanden. Dabei zogen die jungen Burschen mit einem Wagen durch den Ort. Auf diesem Wagen beleuchteten sie kuriose Geschehnisse des Jahres kritisch und versahen sie mit einem spitzen Kommentar. Am Ende des Umzuges verbrannten sie den Wagen und feierten in den Gasthäusern weiter. Erst ab 21 Uhr durften die Frauen dazukommen. Die jüngeren Frauen zogen unterdessen durch das Dorf und schrieben Neujahrswünsche auf die Treppenstufen der Häuser. Um Mitternacht versammelten sich alle in der Ortsmitte und gingen noch einmal singend durch die Straßen. Das neue Jahr wurde früher mit Schüssen aus Gewehren, Pistolen oder selbstgemachten Böllern begrüßt. Man böllerte gerne mit Karbid in Milchkannen. Da durch die selbstgemachten Böller viele Unfälle passierten, wurde das Neujahrschießen bereits im 17. und 18. Jahrhundert von den Behörden verboten. Daran hat sich aber meistens kaum jemand gehalten. Die örtlichen Schmiede hämmerten zu der Böllerei auf ihren Ambossen. Egal ob geböllert oder gehämmert wurde: Die Lärmbräuche soll(t)en die bösen Geister, die in der Silvesternacht besonders gefährlich sein sollen, abwehren und vertreiben. Gleichzeitig sind sie aber auch Ausdruck der Freude und Festlichkeit, schließlich wurden auch bei anderen Anlässen die Honoratioren mit Schüssen geehrt.

Eine Postkarte: „Kinder ziehen das Glücksschwein ins Haus“. Sie wurde am Neujahrstag 1910 an Familie Joseph Igel in der damaligen Niedermarsberger Wilhelmstraße (heute: Hauptstraße) verschickt.
Ein beliebter Brauch ist in der Silvesternacht die Zukunft zu befragen. Der Glaube an den magischen Übergangs- und Jahresanfangszauber schlägt sich in Glücksbringern wie Schornsteinfegern, Kleeblättern und Bleigießen und anderen Orakelsprüchen nieder. Dabei soll der Anfangszauber immer die Zukunft des Beglückwünschten positiv beeinflussen. Dem weit verbreiteten Bleigießen werden dabei nicht nur zu Aussagen über Glück, Reichtum und Leid zugeschrieben, es gilt gleichzeitig auch als Liebesorakel: Dabei werden aus der Form des erkalteten Bleis, das zuvor geschmolzen und in kaltes Wasser gegossen wird, Charaktereigenschaften und Namenszüge des künftigen Partners gedeutet. Früher gab es noch andere Liebesorakel. So stellten sich die Töchter einer Familie mit dem Rücken zueinander im Kreis auf und warfen über ihren Kopf einen Pantoffel. Zeigte der Pantoffel mit seiner Spitze zur Tür, so deutete das daraufhin, dass diese Tochter zuerst das Haus verließ und heiratete. Aber auch Apfel- und Kartoffelschalen mussten als Liebesorakel herhalten: Die jungen Frauen warfen sie sich über den Kopf, aus den Verschlingungen der Schalen schlossen sie dann auf die Anfangsbuchstaben ihres Zukünftigen. In den Marsberger Zeitungen war es anno dazumal Usus zwischen den Jahren Wünsche – meist in Gedichtform – für das neue Jahr zu äußern. Am Anfang der 1930er Jahre schrieben etliche Niedermarsberger die Redaktionen an und wünschten sich fürs neue Jahr eine neue Schützenhalle, „ähnlich schön und groß wie die in Obermarsberg“. Man muss dazu wissen, dass die in 1930 neuerrichtete Halle in Obermarsberg das damalige Non-Plus-Ultra in Marsberg war und sämtliche größeren Veranstaltungen mit Beteiligung der umliegenden Ortschaften dort stattfanden. Weiter hieß es von einem Niedermarsberger Festteilnehmer: „Auch der mühsame, beschwerliche Weg zur Oberstadt hinauf könnte so vermieden werden“.

Die „Neujahrssänger“ im Glindegrund von Obermarsberg im Jahr 1962 – Das Foto entstand am Silvestertag im Haus von Familie Meier. Auf dem Foto ist links mit Blechtröte Anton Steinhoff und rechts Franz Pape zu sehen.
Zum Silvesterbrauchtum trugen auch die Silvestersänger bei. Die Obermarsberger Sänger begaben sich vom Berg in die zur Stadt gehörenden Täler und wünschten den Bewohnern der Diemelgrund sowie des Glindegrunds mit ihren Liedbeiträgen ein frohes Neues Jahr. Da auch kräftig gefeiert wurde, war es nicht unüblich, dass die Sänger es nicht mehr zurück auf den Berg schafften und somit Quartier „auf der Grund“ nehmen mussten. In 1936 erfolgte für Niedermarsberg ein kompletter Verbotserlass für die Böllerei, da es in den Vorjahren zu allerlei Unfällen kam. Die Zeitung schrieb: „…Durchweg friedlich und still ist man bei uns ins neue Jahr gegangen. Die einen fanden sich zu froher Gemeinschaft in den Lokalen zusammen, die anderen saßen wohl zu Hause beim Punsch und wieder andere taten das nach ihrer Meinung allerklügste: sie legten sich im alten Jahre zur Ruhe, um im neuen Jahre wieder aufzuwachen. …“. Auch in der jüngeren Vergangenheit gibt es für den Neujahrstag eine Anekdote zu berichten. Die Obermarsberger gaben am 01.01.1975 ihren Unmut über die erfolgte, frisch in kraftgetretene kommunale Neugliederung preis. Sie konnten den Verlust ihrer Eigenständigkeit und der Stadtrechte nicht verstehen. Einige Bürger schlossen sich in die Kirche ein und ließen die Totenglocke, die in der gesamten Umgebung zu hören war, ausgiebig läuten.
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